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dachte ich. Dabei liegt mir gar nichts an dem Zeug.
Karla ist im Mai gestorben. Anton hat es mir geschrieben, er
will mich besuchen. Bei mir hat sich ein kleiner Vogel
eingenistet, ein verlorenes Kind mit einem Kind. Sie richtet den
Garten her. Jahrzehntelang habe ich ihn nicht gesehen. Jetzt sehe
ich ihn mit ihren Augen. Schön ist das.«
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Als Hanna auf den Parkplatz der Firma Simanc einbog, kollerte
die liebevoll verpackte Flasche Eierlikör auf dem Beifahrersitz
zur Seite, und die Karte, die mit einem Schleifchen daran
befestigt war, zeigte mit der beschrifteten Seite nach oben.
»Lieber Herr Ernst«, stand da, »meine Nichte hat eine Frage an
Sie. Herzliche Grüße, Ihre Kunigunde Buchner.« Sieben ihrer
schönsten Karten hatte Tante Kunigunde für diesen Text
verbraucht.
Hanna wurde von einem vorbeieilenden Angestellten zur
Chefsekretärin in den ersten Stock geschickt. Die war
offensichtlich im Stress und wies zwischen zwei Telefonaten auf
Hannas Frage nach Herrn Ernst nur kurz auf eines der Fenster.
»Er macht gerade unten im Hof seine Teepause.« Sie wollte
noch etwas hinzufügen, aber da klingelten zwei Telefone
gleichzeitig, und sie nickte Hanna nur kurz zu und begann eifrig
zu notieren.
Hanna blickte aus dem Fenster. Der Werkshof lag in der
weichen Nachmittagssonne, ein großer, lichtdurchfluteter Raum.
Und mittendrin saß auf einem Holzstapel der kleine Herr Ernst.
Er hatte ein weißes Tuch auf den Brettern vor sich ausgebreitet,
darauf standen ein Pappteller mit zwei Scheiben Kuchen und
eine silbern glänzende Thermoskanne. Soeben wickelte er eine
feine weiße Porzellantasse aus einer Serviette. Dieses Stillleben
mitten zwischen den großen Hallen voller Ziegel, Balken und
Arbeitsmaschinen verblüffte Hanna so, dass sie noch
neugieriger auf den kleinen Herrn Ernst wurde, als sie es nach
Tante Kunigundes Andeutungen ohnehin schon war. Sie fand
den Hof auf Anhieb. Es war erstaunlich still dort, eine dichte,
vom Geruch warmen Holzes durchdrungene Stille, die durch ein
entferntes Hämmern noch vertieft wurde.
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Der kleine Herr Ernst war genau wie sein Name: klein, ernst
und ein Herr. Als Hanna auf ihn zuging, erhob er sich von
seinem Holzstapelsitz. »Karl Ernst«, sagte er mit einer knappen
Verbeugung. »Mit wem habe ich die Ehre?«
»Mein Name ist Hanna Tal«, antwortete Hanna wohlerzogen
und überzeugt, er hätte ihr in einer anderen Umgebung die Hand
geküsst. »Meine Tante, Kunigunde Buchner, lässt Ihnen dies
hier übermitteln.« Sie hielt ihm ihr Mitbringsel hin, amüsiert
darüber, wie spontan sich seine Umgangsformen auf ihre
Sprache übertrugen. »Und sie lässt schöne Grüße bestellen.«
Einen Augenblick lang sah Herr Ernst sie fassungslos an. Er
nahm die Flasche, die er so vorsichtig hielt wie ein kleines Kind,
und schloss kurz die Augen. Dann begann langsam die Freude in
ihm aufzusteigen. Sein ganzer kleiner, hagerer Körper strahlte
vor Freude. Doch die Höflichkeit half ihm, die Haltung zu
bewahren. Er wies einladend auf den Holzstapel und sagte: »Es
freut mich, Sie kennenzulernen, Frau Dr. Tal. Ich habe Ihren
Artikel über das Haus am Nonnengraben gelesen. Er hat mir
sehr gut gefallen. Darf ich Sie zu einem Tässchen Tee einladen?
Ich kann Ihnen meine Tasse anbieten, ich habe sie noch nicht
benutzt. Ich finde immer, wirklich gut schmeckt Tee nur aus
feinem Porzellan, nicht wahr?«
Er schraubte die Thermoskanne auf, schenkte für Hanna Tee in
die Tasse und für sich in den Deckel der Kanne und reichte ihr
den Pappteller mit dem Kuchen, als wäre er ein Silbertablett.
Hanna kam aus dem inneren Kopfschütteln gar nicht mehr
heraus und dachte, dass niemand besser in Tante Kunigundes
Wohnstube mit den Spitzenvorhängen passte als dieser kleine
würdige Herr. Mit einem stummen Seufzer verabschiedete sie
sich von dem komischen Bild des in breitem Fränkisch
schimpfenden Mannes im speckigen Arbeitsoverall, das ihr bei
Tante Kunigundes Erzählung vorgeschwebt hatte. Herr Ernst
sprach kein Fränkisch, sondern ein sehr präzises, etwas
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gestelztes Hochdeutsch, in dem tief im Untergrund leise ein
ostpreußisches »R« grummelte.
»Der Kuchen schmeckt wunderbar«, begann Hanna die
Unterhaltung, denn Herr Ernst schien sie kurzfristig vergessen
zu haben.
»Ja, er ist nicht schlecht, aber nichts im Vergleich zu den
Kuchen Ihrer Frau Tante«, meinte Herr Ernst. Er schien den
Geschmack des Kunigunden-Kuchens auf der Zunge zu spüren.
»Wie still es hier ist.« Hanna fragte sich, wie sie ihn je zum
Reden bringen sollte, wenn er dauernd in seine Erinnerungen
entglitt.
»Ach, warten Sie nur eine Stunde, wenn die Baufahrzeuge
zurückkehren. Dann ist hier die Hölle los. Aber jetzt, ja, Sie
haben recht, bei Sonnenschein herrscht hier eine ganz besondere
Stimmung. Ich nenne diese Zeit für mich immer die Stunde des
Pan. Auch wenn ich natürlich weiß, dass damit etwas anderes
gemeint ist.«
Natürlich. Ein einfacher Arbeiter, hatte Tante Kunigunde
gesagt. Hanna fiel von einem Erstaunen ins andere.
Herr Ernst nahm jetzt von sich aus den Faden wieder auf.
»Ihre Frau Tante ist eine wunderbare Frau. Auch meine tägliche
Teepause«, er wies mit einer eleganten Handbewegung auf das
Arrangement vor sich, »ist auf sie zurückzuführen. Als wir
damals bei ihr waren, um das Dach ihres Hauses neu zu decken,
wobei sie strikt darauf achtete, dass wir jeden der alten Ziegel,
der noch gut war, wiederverwendeten«, er lächelte versonnen
und schüttelte leicht den Kopf, »sie war übrigens die Einzige,
die je von sich aus erkannt hat, wie wichtig das für die
Dachlandschaft der Altstadt ist, also, wir waren damals drei
Wochen bei ihr beschäftigt, und am Nachmittag lud sie mich
immer zu einer Teepause ein, um mit mir die Angelegenheiten
bezüglich des Daches zu besprechen.«
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Das darf doch nicht wahr sein, dachte Hanna, »bezüglich des
Daches«! Sie würde Herrn Ernst zum Vorstandsmitglied ihres
»Vereins zur Rettung des Genitivs« machen.
»Aber wir unterhielten uns auch über viele andere Dinge, über
Gott und die Welt, wie man so schön sagt. Und jeden zweiten
Nachmittag gab es einen anderen ihrer so überaus köstlichen
Kuchen. Ich habe mich nie mehr so wohlgefühlt.« Er sagte das
ohne Übertreibung, schlicht und glaubwürdig.
»Aber warum & ?« Hanna wagte die Frage nicht auszuspre-
chen.
Herr Ernst kniff ganz leicht die Lippen zusammen und schaute
über den Werkshof, als lägen dort die leeren verflossenen Jahre.
»Meine Frau war damals schon krank und sehr eifersüchtig.«
Er schwieg eine Weile und fügte dann hinzu: »Vor zwei Jahren
ist meine Frau gestorben.« Dann wandte er sich mit einem
höflichen Lächeln an Hanna. »Aber Sie sind ja nicht gekommen,
um sich den Erinnerungen eines alten Mannes auszusetzen,
verzeihen Sie. Ihre Tante schreibt, Sie hätten eine Frage.«
Hanna war hingerissen von Herrn Ernst. »Doch, gerade um die
Erinnerungen eines gar nicht alten Mannes geht es mir. Erinnern
Sie sich an Elfi Rothammer?«
»Aber natürlich. Eine ausnehmend grässliche Person. Warum
fragen Sie nach ihr?«
»Ich habe sie am Montag früh ermordet in ihrem Haus
aufgefunden.«
»Wie schrecklich, Sie Ärmste! War das nicht furchtbar für
Sie?«
Kein Wort des Mitleids für Elfi.
»Ja, es war ziemlich scheußlich. Könnten Sie mir erzählen,
wie Sie sie kennengelernt haben?«
»Das war der Auftrag unmittelbar bevor wir zu Ihrer Frau
Tante kamen. Wir sollten die Dachsparren der Villa Rothammer
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reparieren. Doch sie hat uns in einer Weise behandelt, die
unerträglich war. Ständig kontrollierte und kritisierte sie uns
oder ließ uns gar nicht erst ins Haus. Zweimal standen wir
morgens vor ihrer Tür und riefen und klopften vergebens. Zwei
Stunden später rief sie dann in der Firma an und beschwerte sich
aufs Heftigste, wieso wir nicht auf der Bildfläche erschienen
waren und dass es kein Wunder wäre, wenn es dem Betrieb so
schlecht ginge, bei so nachlässigen Mitarbeitern. Und es ging
dem Betrieb tatsächlich nicht gut, aber nicht der Mitarbeiter
halber, sondern wegen des Chefs.«
»Wieso, was tat der denn?«
»Er tat eben nichts. Dafür nahm er viel zu viel Geld aus der
Firma und investierte zu wenig. Nur der alte gute Name des [ Pobierz całość w formacie PDF ]

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