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Krankheit zu genesen. Es läßt sich also durchaus ein grundlegendes
Bedürfnis nach Frieden ausmachen. Und warum ist das so? Weil Frieden
auf Leben und Wachstum schließen läßt, während Gewalt nur in Richtung
Elend und Tod zielt. Darum fasziniert uns die Vorstellung eines Paradieses
oder eines Himmels so. Würde ein derartiger Platz als Austragungsort
endloser Kriege und Streitigkeiten dargestellt, würden wir wohl lieber in
dieser Welt bleiben.
Beachten Sie auch, wie wir auf das Phänomen des Lebens selbst
reagieren. Wenn nach dem Winter der Frühling kommt, werden die Tage
länger, die Sonne scheint häufiger, frisches Gras wächst, und wie von selbst
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hebt sich unsere Laune. Wenn dagegen der Winter kommt, beginnen die
Blätter eines nach dem anderen zu fallen, und ein Großteil der Vegetation
um uns herum wirkt wie tot. Niemanden verwundert es, daß wir in so einer
Jahreszeit eher ein bißchen niedergeschlagen sein können. Das legt doch
den Schluß nahe, daß unsere Natur das Leben dem Tod vorzieht, das
Wachstum dem Verfall, die Entwicklung der Zerstörung.
Denken Sie auch daran, wie sich Kinder verhalten. An ihnen können wir
häufig ablesen, was dem menschlichen Wesen selbstverständlich ist, ehe es
hinter erlernten Vorstellungen zurücktritt. Ganz kleine Babys unterscheiden
zum Beispiel nicht wirklich zwischen der einen und der anderen Person
für sie ist das Lächeln ihres Gegenübers bedeutend wichtiger als alles
andere. Selbst wenn sie größer werden, bedeuten ihnen die Unterschiede
der Rassen, Nationalitäten, Religionen oder familiären Hintergründe kaum
etwas. Wenn sie anderen Kindern begegnen, wird nicht über solche Dinge
geredet. Stattdessen fangen sie sofort an zu spielen, was ihnen viel
wichtiger ist. Das ist keine bloße Schönfärberei. Immer wenn ich eins der
europäischen Kinderdörfer besuche, in denen seit den frühen sechziger
Jahren viele tibetische Flüchtlingskinder aufgezogen wurden, sehe ich, wie
es tatsächlich ist. Man gründete diese Dörfer, um für Waisenkinder aus
solchen Ländern sorgen zu können, die miteinander im Krieg liegen.
Niemand war besonders überrascht, als sich zeigte, daß diese Kinder trotz
ihrer unterschiedlichen Herkunft in völliger Harmonie miteinander lebten.
Nun ließe sich einwenden, daß wir zwar alle die Fähigkeit zu liebevoller
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Freundlichkeit teilen mögen, daß aber die menschliche Natur so beschaffen
ist, daß wir diese Fähigkeit automatisch den Menschen vorbehalten, die uns
am nächsten stehen. Wir sind zugunsten unserer Angehörigen und Freunde
voreingenommen. Unsere Anteilnahme an jenen Menschen, die sich
außerhalb dieses Kreises befinden, wird sehr von den betreffenden
Umständen abhängen. Wer sich zum Beispiel bedroht fühlt, wird kaum
sehr viel Wohlwollen für diejenigen aufbringen, die ihn bedrohen. Das ist
alles völlig richtig. Ich streite auch nicht ab, daß unsere Anteilnahme an
Mitmenschen, wie groß sie auch immer sein mag, nur selten stärker sein
wird als unser Selbsterhaltungstrieb, wenn es um Leben und Tod geht.
Doch das besagt nicht, daß die Fähigkeit zur Anteilnahme deswegen
verschwunden ist. Selbst Soldaten helfen nach einer Schlacht oft den
Gegnern, die Toten zu bergen und die Verletzten zu versorgen.
Alles, was ich hier über die Grundzüge unseres Wesens angeführt habe,
soll nicht besagen, daß es keine negativen Seiten gibt. Wo es Bewußtsein
gibt, da entstehen ganz von selbst natürlich auch Ablehnung, Haß und
Gewalt. Auch wenn unser Wesen im Prinzip auf Freundlichkeit und
Mitleid ausgerichtet ist, sind wir trotzdem alle auch in der Lage, grausam
und haßerfüllt zu sein. Das ist der Grund, warum wir überhaupt kämpfen,
und daher kommt es auch, daß selbst Menschen, die in einer völlig
gewaltfreien Umgebung aufgewachsen sind, sich bisweilen in die
schlimmsten Killer verwandelt haben. In diesem Zusammenhang fällt mir
mein Besuch am Washington-Memorial vor ein paar Jahren ein, mit dem
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der Opfer und Widerstandskämpfer des Holocaust gedacht wird. Was mich
am meisten anrührte, war, daß das Denkmal gleichzeitig verschiedene
Ausprägungen menschlichen Verhaltens dokumentiert. Auf der einen Seite
sind die Namen der Menschen aufgelistet, die unvorstellbaren Greueltaten
zum Opfer fielen, auf der anderen erinnert es an den Mut und die
Menschlichkeit jener christlichen Familien und Helfer, die furchtbare
Risiken auf sich nahmen, um ihre jüdischen Brüder und Schwestern zu
retten. Ich hielt es für vollkommen angemessen und notwendig, diese
beiden Seiten menschlicher Möglichkeiten aufzuzeigen.
Doch die Existenz eines solch negativen Potentials rechtfertigt nicht die
Annahme, daß das Wesen des Menschen per se gewaltsam oder auch nur
auf Gewalt ausgerichtet ist. Vielleicht liegt einer der Gründe für die oft
gehegte Annahme, daß der Mensch in erster Linie aggressiv sei, darin, daß
wir ständig den schlimmen Meldungen durch die Medien ausgesetzt sind.
Aber gute Nachrichten sind eben keine Nachrichten.
Wenn man sagt, daß das Wesen des Menschen nicht nur nicht
gewalttätig, sondern auf Liebe und Mitleid, auf Freundlichkeit, Sanftheit,
Zuwendung, auf Kreativität und so weiter ausgerichtet ist, dann drückt sich
hierin ein allgemeines Prinzip aus, das definitionsgemäß auf jeden
einzelnen Menschen anwendbar sein muß. Wie erklären wir uns dann die
Existenz solcher Individuen, die ihr Leben offenbar ausschließlich der
Gewalt und Aggression widmen? Allein im vergangenen Jahrhundert gab
es etliche Beispiele dafür. Was ist mit Hitler und seinem Vorhaben, die
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ganze jüdische Rasse auszulöschen? Was ist mit Stalin und seinen
Pogromen? Was mit dem Vorsitzenden Mao, dem Mann, den ich einst
kennen und bewundern lernte und der dann den barbarischen Wahnsinn der
Kulturrevolution auslöste? Was ist mit Pol Pot, dem Kambodschanischen
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